Calabria – mein Exkurs
Meinen ersten „Kalabrienkontakt“ hatte ich 1996 in Rom: Während eines Sprachaufenthaltes wohnte ich in einem Gästezimmer von Gianni, einem sympathischen, älteren Kalabresen. Selbstverständlich lernte ich auch die restliche Großfamilie kennen und es entstand eine Freundschaft, die bis heute andauert. Dank Giannis Empfehlung habe ich vor 10 Jahren zum ersten Mal einen Urlaub in Tropea verbracht und entdeckte eine Region Italiens, die mich seitdem in ihren Bann zieht.
Es ist kein einfaches Unterfangen, in Worte zu fassen, was Kalabrien ausmacht. Italiens Stiefelspitze ist berühmt für karibisch anmutende Sandstrände mit malerischen kleinen Buchten und Ferienorten an der Tyrrhenischen Küste, sich kilometerweit erstreckende Strände auf der Seite des Ionischen Meeres und die karge Bergwelt des Aspromonte, dessen Name spätestens seit dem tragischen Vorfall in Duisburg auch in Deutschland bekannt ist. Sicherlich ist es die wunderschöne Landschaft und das sonnige Klima, die uns Nordeuropäer als erstes faszinieren. Ein Meer, das in allen Blau- und Türkistönen der Farbpalette funkelt, ein Blick bis hin zur Straße von Messina vor Sizilien und zu den Liparischen Inseln, die wie große im Meer versunkene Dinosaurier liegen und mich zu jeder Tages- und Jahreszeit erneut begeistern.
Kalabrien ist aber vor allem auch eines: grün. Ein Gast aus England, dem ich die Gegend zeigte, war über die wild wuchernde Vegetation derart überrascht, dass er sie sogar mit Irlands grünen Hügeln verglich. Kalabrien hat einen reichen Baumbestand mit zum Teil jahrhundertealten Buchen- und Pinienwäldern. Die dichtesten Waldgebiete Italiens liegen im Aspromonte. Hier gedeiht auch die für Kalabrien typische Zitruspflanze Bergamotte. Hinzu kommen Landstriche mit weitgestreckten Hainen aus uralten Olivenbäumen, Plantagen von Orangen- und Zitronenbäumen und natürlich mit den vom Mittelmeer nicht wegzudenkenden Palmen. Die Kombination aus üppiger Flora, der kargen Region des Aspromonte, den herrlichen Stränden und dem Meer macht die Region zu einem unvergleichbar schönen Fleckchen Erde.
Um diesen Reichtum zu schützen, wurden drei Regionalparks eingerichtet. Der Parco Nazionale del Pollino im Norden und im Süden der Parco Nazionale della Sila und der Parco Nazionale dell’ Aspromonte. „Die Wege des Menschen in Kalabrien begannen vor ca. 600.000 Jahren im Altpaläolithikum mit einer Gruppe von Jägern, […]“ schreibt Francesco A. Cuteri in seiner Einführung in Wege im Antiken Kalabrien. „Nach dem Zeitabschnitt der Urbevölkerung ist die Entwicklung in Kalabrien von einer raschen Abfolge verschiedener Völker und Kulturen geprägt: Griechen, „Bruttier“, Römer, Byzantiner, Normannen und andere. Alle Etappen haben in diesem Land eine mehr oder weniger tiefe Spur hinterlassen […]. Eine Unmenge von Zeichen sind zu entdecken und zu deuten, um zwischen den Spuren der Zeit stöbernd das Geheimnis eines Landes kennenzulernen, das im Zauber eines einfachen Wortes der griechischen Sprache des Aspromonte liegt: Paleariza Antike Wurzeln.“
Kalabrien entdecken..
Bei einem Urlaub in Kalabrien können Sie also durchaus mehr erleben als nur Strand, Sonne und Meer. Unter „Ausflüge“ finden Sie ein paar meiner Ideen für Ihre ganz persönliche Spurensuche. Als ich mich entschloss, in den Süden Italiens auszuwandern, waren natürlich auch einige Zweifler zu hören, die sich zumeist auf das Bild stützten, das wir uns von den Süditalienern machen: Schwierige und aufbrausende Mentalität, die Mafia, die alles bestimmende italienische Mamma, Arbeitslosigkeit, Armut und ein nicht entwickelter Landstrich etc. Meine persönlichen Erfahrungen ergeben inzwischen ein anderes, differenzierteres Bild der Süditaliener. Und ich bin der Meinung, dass es selbst in einem Urlaub möglich ist, einen Eindruck von den Menschen zu bekommen, die in dieser Region leben. Das immer wieder genannte „Markenzeichen“ der Kalabresen ist ihre uneingeschränkte Gastfreundschaft und Herzlichkeit gerade Fremden gegenüber. Letztere ist gepaart mit einer Verschlossenheit, mit Stolz und einer Form von Gelassenheit, die man schon fast als Desinteresse interpretieren könnte. Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wie es in einem Landstrich, der fast ausschließlich vom Tourismus lebt, auch noch in der Hochsaison möglich ist, netten und auskunftsfreudigen Kellnern, Verkäufern und Einheimischen zu begegnen. Dass es unter denselben auch manchmal Unfreundliche und Schlitzohre gibt, liegt auf der Hand. Die Verschlossenheit der Kalabresen manifestiert sich schnell in dem selbst für fleißige Italienisch Studierende nicht verständlichen kalabresischen Dialekt, der sich für unsere Ohren wie „Arabisch“ anhört. Versucht man sich dennoch in der italienischen Sprache, wird dies freudig begrüßt. Nach drei Jahren als Eingewanderte frage ich mich immer noch und immer wieder, woher die Verschlossenheit und auch der mich oftmals überraschende Stolz der Kalabresen ihrer Ursprung haben. Die Antwort darauf ist nicht einfach. Eine meiner ganz persönlichen Theorien ist die lange Geschichte der Besetzer, die immer wieder die Region an der Stiefelspitze, durchquerten und die Einheimischen unterwarfen. Wenn im August an die 10.000 Touristen vor allem aus Neapel, Rom, Mailand und Turin in Tropea „einfallen“, kommt mir dies wie eine moderne Form der Besetzung vor. An diesem Zustand kann und konnte man nichts ändern, heute braucht man ihn sogar zum Leben. Um ihn aber gut zu „überleben“ ist eine ausgeklügelte Haltung angebracht, wie eine Freundin nach einem Besuch hier treffend beschrieb: „improvisiert, gelassen und unaufgeregt.“
Die Kalabresen wissen, wie schön ihre Region ist, wie gut das Essen schmeckt, wie klar das Meer glitzert, wie traumhaft die Strände sind! Leider wissen sie manchmal nicht, oder fühlen sich nicht dafür verantwortlich, dieses „Geschenk“ zu bewahren. So ist man vor allem als Nordeuropäer mancherorts geschockt von illegalen Müllhalden mitten in der schönsten Landschaft, herrlichen alten Gebäuden, die offensichtlich seit Jahrzehnten auf ihre Restaurierung warten (seit 3 Jahren ist das Wahrzeichen Tropeas die „Isola Bella“ aufgrund von Einsturzgefahr nicht begehbar!) und vielen modernen, aber nie fertig werdenden Bauruinen, welche von Korruption und Geldhinterziehung erzählen. Lassen Sie Auge und Herz über diese Schönheitsfehler hinweg gleiten, so können Sie in Ihrem Urlaub vor allem die Schönheit dieser Region und ihre vielen Facetten erleben. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei und freue mich, von Ihren Eindrücken zu erfahren.
Ihre Katrin Wosnitzka